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Senegal: Reform der beruflichen Bildung

Interview mit Robert Koch, GIZ Senegal

Robert Koch arbeitet für die GIZ im Senegal und unterstützt die Berufsbildungsreform des Landes. Im Interview spricht der ehemalige GOVET Kollege über die Herausforderungen, die ihm in seiner Arbeit im Senegal begegnen – und er blickt zurück auf seine Zeit bei GOVET.

Senegal: Reform der beruflichen Bildung

Seit Anfang 2021 arbeiten Sie im Senegal für die GIZ und unterstützen die Reform der beruflichen Bildung. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie dabei?

Im Senegal findet Berufsbildung überwiegend im informellen Sektor statt. Viele Unternehmen sind Kleinstunternehmen – wie die sogenannten „ateliers“ oder  „garage“. Das sind kleine Werkstätten, die handwerkliche Leistungen anbieten und häufig auf begrenztem Platz produzieren oder reparieren. Sie prägen das Straßenbild der senegalesischen Großstädte. Viele von diesen Kleinstunternehmen hangeln sich von einem Auftrag zum nächsten. Ihre Mitarbeitenden arbeiten in informellen Beschäftigungsverhältnissen und Jugendliche, die hier im Rahmen einer traditionellen Ausbildung („apprentissage“) einen Ausbildungsplatz finden, erlernen im Berufsalltag an der Seite eines erfahrenen Handwerkers oder Meisters informelle Kompetenzen.

Gleichzeitig gibt es jedoch auch Passungsprobleme im Land und viele Unternehmen (40% der Unternehmen, Weltbank 2014) beklagen, dass es nicht ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte gäbe und rekrutieren ihr Personal im Ausland. Der Mangel an bedarfsgerecht qualifizierten Fachkräften ist somit ein strukturelles Hindernis für nachhaltiges Wachstum der senegalesischen Wirtschaft. Das betrifft das  Hotel und Gaststättengewerbe genauso wie die Industrie und die Baubranche.

Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Berufliche Bildung findet überwiegend schulisch statt und wurde oft seit Jahrzehnten nicht weiterentwickelt. Schüler*innen lernen oft mit veralteten Lernmaterialien und die Realität des Arbeitsmarktes sowie Innovation z.B. in Landwirtschaft finden kaum Berücksichtigung.  Um diese Probleme anzugehen, hat Senegal vor einigen Jahren einen dualen Ansatz in der Berufsausbildung eingeführt. Und dieser wird nun umgesetzt – vom Papier in die Realität. Das ist der Prozess, den meine Kolleginnen und Kollegen und ich begleiten.

Worin liegen aktuelle Schwerpunkte in Ihrer Beratungsarbeit?

Wir arbeiten in unserem Projekt auf drei Ebenen. Wir verfolgen gemeinsam mit unseren senegalesischen Partnern das Ziel, die Steuerung des Berufsbildungssystem im Land zu verbessern. Dazu beraten wir das Berufsbildungsministerium um deren Steuerungskapazitäten zu stärken. Wir arbeiten an Themen wie zum Beispiel der „Recognition of Prior Learning“ und haben in dem Kontext das senegalesische Berufsbildungsministerium unterstützt, den rechtlichen Rahmen zur formalen Anerkennung informell erworbener Fähigkeiten zu setzen. Zudem unterstützen wir aktuell das Ministerium bei der Entwicklung einer Strategie, die vorsieht, dass bis 2030 dreißig Prozent der Abgänge der unteren Sekundarstufe den Weg in die Berufsbildung finden.

Auf der zweiten Ebene steht die Stärkung der Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft im Fokus. Im Senegal gibt es ein Steuerungsgremium, das sich aus Arbeitgebervertreter*innen, Arbeitnehmervertreter*innen und Vertreter*innen des Berufsbildungsministeriums zusammensetzt und das die Einführung eines dualen Systems begleitet.

Aber auch in den Regionen unterstützen wir die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren. Neben der Privatwirtschaft spielen auf regionaler Ebene auch zivilgesellschaftliche Akteure wie Elternvertreter*innen eine Rolle. Auch stärken wir die Verbindung zwischen Berufsschule, Unternehmen und Aufsichtsstrukturen, Berufsgenossenschaften und Kammern.

Die dritte Ebene stellt das „Programme de Formation Ecole- Entreprise (PF2E)“ dar, das vom senegalesischen Staat ins Leben gerufen wurde. Jugendliche sollen ein Teil der Ausbildung im Unternehmen verbringen und einen Teil der Ausbildung in der Schule – das ist ein sehr konkreter dualer Ansatz. Unsere Partner orientieren sich dabei sehr am deutschsprachigen Modell (ich sage bewusst deutschsprachig, da auch Kollegen aus der Schweiz intensiv mit unseren Partnern zusammengearbeitet haben). Die Unterstützung dieses Programms ist der Schwerpunkt meiner Arbeit.

Wir begleiten dieses Programm in zwölf Ausbildungsberufen auf einem Ausbildungsniveau, das sich in dem mittleren Sekundarniveau ansiedeln lässt. Es ist eine zwei- bis dreijährige Ausbildung nach der neunten Klasse. Das Programm umfasst fünf Sektoren: Industrie, Baugewerbe, Landwirtschaft bzw. landwirtschaftliche Transformation, Hotel- und Gaststätten Gewerbe und in der IT. In diesen Sektoren haben wir bestehende Ausbildungsordnungen zusammen mit Vertreter*innen aus der Wirtschaft so angepasst, dass sich die Kompetenzen, die an den verschiedenen Lernorten vermittelt werden, sinnvoll ergänzen und das abdecken, was in der Wirtschaft gebraucht wird.

Genau an diesem Punkt begegneten wir der Herausforderung, die ich eben erwähnte: die hohe Informalität. Es stellte sich heraus, dass die Weiterbildungen der Ausbilder*innen in den Unternehmen und die der Berufsschullehrer*innen eine wichtige Stellschraube sein würden. Daher haben wir das Personal an den Lernorten gezielt geschult. Ausbilder*innen und Berufsschullehrer*innen lernten, wie sie den angehenden Fachkräften die Inhalte der Curricula vermitteln können. Gezielt haben wir technische und pädagogische Kompetenzen der Ausbilder*innen gestärkt, damit Auszubildende eine fundierte Ausbildung erhalten. Das erste Ausbildungsjahr liegt nun bald hinter uns und nach einigen Verspätungen wird noch vor Ende dieses Jahrs ein nächster Ausbildungsjahrgang seine Ausbildungen beginnen.

Bei GOVET haben Sie mit dem Schwerpunkt auf Entwicklungszusammenarbeit ministerielle und institutionelle Partner beraten. Welche Erfahrungen aus Ihrer Arbeit bei GOVET können Sie nun in Ihrer Tätigkeit einbringen?

Teil meiner Arbeit ist es, Impulse aus Deutschland in die Beratung der verschiedenen Partner einzubringen und auch den Blick nach Deutschland zu behalten. Meine Arbeit bei GOVET hat mir geholfen, einen fundierten Blick über die Akteurslandschaft in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit zu bekommen und das Verständnis dafür geschärft, diese mit einzubeziehen, wenn es um duale Ausbildung geht.

Inwieweit nutzen Sie weiterhin Angebote von GOVET?

Die Materialien von GOVET kommen bei meiner Arbeit immer wieder mal zum Einsatz, zuletzt bei einer Veranstaltung mit Vertreter*innen von verschiedenen Berufsschulen, die planen eine duale Klasse zu eröffnen Auf die GOVET Präsentationen oder auch die Filme auf YouTube greife ich zurück und wir nutzen sie als Wissensbasis und empfehlen sie unseren senegalesischen Partnern.

Die „Strategie der Bundesregierung zur internationalen Berufsbildungszusammenarbeit aus einer Hand“ wurde vor zehn Jahren verabschiedet. Sie setzt den Rahmen für eine kohärente und komplementäre Umsetzung der mitgestaltenden Akteure. Wie zeigt sich die Wirksamkeit der Strategie auf der Umsetzungsebene und ganz konkret wie macht sie sich in Ihrer Arbeit bemerkbar?

Im Senegal ist eine Vielzahl von deutschen Akteuren mit Maßnahmen aktiv und die Abstimmungen für Maßnahmen sind sehr wertvoll und gewinnbringend. Bei GOVET habe ich auch an einer Schnittstelle gearbeitet und weiß daher, was es heißt, verschiedene Interessen zusammenzubringen.

Nun im Senegal arbeiten wir von der GIZ beispielsweise in der gleichen Region wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Damit die technische Zusammenarbeit und die finanzielle Zusammenarbeit Hand in Hand gehen, arbeiten wir teilweise mit den gleichen Berufsschulen zusammen und so stimmen wir uns mit der KfW eng in unserem Handeln ab. Es ist wichtig, dass deutsche Akteure sich vor Ort abstimmen, um Synergien zu schaffen und aus einer Hand zu arbeiten.

Hintergrund

Senegal hat eine sehr junge Bevölkerung. Etwa Dreiviertel der rund achtzehn Millionen Einwohner sind unter 35 Jahre alt. Dennoch waren 2018 nur etwas mehr als ein Drittel der jungen Menschen im beschäftigungsfähigen Alter Teil der Arbeitskräfte in Beschäftigung (ANSD 2018). Bei einem stetigen Bevölkerungswachstum kommen auch viele junge Menschen jedes Jahr auf dem Arbeitsmarkt – jährlich sind es nach aktuellen Zahlen rund 300.000 (ANSD 2020).  Obwohl Senegals Wirtschaft ein relativ konstantes Wirtschaftswachstum aufweist und ein Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften besteht, liegt die Beschäftigungsquote mit 57,9% unter dem Durchschnitt in Subsaharaafrika (70%). Zeitgleich waren circa 33% der Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren weder in Beschäftigung, schulischer oder beruflicher Ausbildung (33%, Banque Mondial 2019). Vor diesem Hintergrund setzt sich aber ein positiver Trend in den Berufsbildungsstatistiken fort. Sowohl die Zahl der Jugendlichen in einer formalen technischen oder beruflichen Ausbildung steigt (Stand 2022: 92.933), als auch die Erfolgsquote (70%). Der Anteil von Mädchen und Frauen in der Berufsbildung liegt bei über 50%. Zudem werden neue Berufsbildungseinrichtungen gebaut, um den Zugang zu beruflicher Bildung stetig zu verbessern. (Berufsbildungsministerium [MFPAI] 2022)