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Äthiopien: Mehr Beschäftigungsfähigkeit durch gezielte Qualifizierung

Interview mit Katharina Ayenew, GIZ

10.11.2023

Katharina Ayenew arbeitet als Team-Leiterin der GIZ in Äthiopien. Im Kurz-Interview spricht sie über aktuelle Themen in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit, ihre Arbeit bei der GIZ und ihre Zeit bei GOVET.

Äthiopien: Mehr Beschäftigungsfähigkeit durch gezielte Qualifizierung

Seit Ende 2019 arbeiten Sie in Äthiopien für die GIZ als Beraterin und Team-Leiterin für das Programm Kapazitätsaufbau im Bildungswesen STEP (Sustainable Training and Education Programme). Gemeinsam mit Ihren Kolleg*innen setzten Sie sich dafür ein, dass Menschen in Äthiopien leichter eine Arbeit finden. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie dabei?

Äthiopien ist ein sehr bevölkerungsreiches Land und zählt über 100 Mio. Einwohner. Die Bevölkerung ist sehr jung, was zur Folge hat, dass jedes Jahr mehrere Millionen Kinder ins Schulsystem drängen und ebenso viele Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt nach Beschäftigung suchen.

Im Grunde ist das eine sehr günstige demografische Ausgangslage, denn die äthiopische Wirtschaft braucht gut ausgebildete Arbeitskräfte. Unternehmen suchen Mitarbeitende, die einerseits Soft Skills wie Pünktlichkeit und Service- und Kundenorientierung mitbringen und andererseits auch die fachliche Kompetenz, um anstehende Aufgaben erledigen zu können. Um diesen Bedarf an Fachkräften decken zu können und die Fachkräfte im eigenen Land auszubilden, möchte die äthiopische Regierung ihr Berufsbildungssystem stärken. 

Eine große Herausforderung dabei ist jedoch die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe. Es ist nicht leicht, sie davon zu überzeugen, junge Menschen auszubilden. Die äthiopische Regierung setzte sich in den vergangenen Jahren in Zusammenarbeit mit Deutschland dafür ein, dass sich mehr Betriebe an der Ausbildung beteiligen. Doch in der Realität ist es nach wie vor schwierig, den Privatsektor einzubinden. Somit findet die Ausbildung noch immer zu großen Teilen in der Schule und nicht im Betrieb statt.

Auch die Qualifizierung des Berufsbildungspersonals ist eine Stellschraube, an der wir drehen. In der Berufsschule erlernen die Schülerinnen und Schüler oft nur theoretisches Wissen, denn viele Berufsschullehrkräfte verfügen selbst über zu wenig praktische Erfahrungen, um ihren Auszubildenden die benötigten Fähig- und Fertigkeiten vermitteln zu können. Auch Ausbilderinnen und Ausbildern in den Betrieben fehlt es an Wissen, um den jungen Auszubildenden die benötigten Fähig- und Fertigkeiten zu vermitteln.

Worin liegen aktuelle Schwerpunkte in Ihrer Beratungsarbeit?

STEP setzt auf mehreren Ebenen an und arbeitet mit verschiedenen Zielgruppen zusammen, um die äthiopischen Partner dabei zu unterstützen, ein besser funktionierendes Berufsbildungssystem aufzubauen. Ein Schwerpunkt ist dabei die stärkere Einbindung des Privatsektors in das Berufsbildungssystem. Das STEP-Team berät die äthiopische Regierung, wie die Wirtschaft bei wichtigen Entwicklungen (z.B. die Erarbeitungen von neuen Strategien) eingebunden werden kann.

Zudem unterstützt STEP ganz direkt mehrere Ausbildungsmodelle. In vier Regionen des Landes werden diese erprobt. Ein Fokus ist dabei die Mitwirkung des Privatsektors. Konkret bedeutet das, dass STEP sowohl die Lehrkräfte in den Schulen als auch die Ausbilderinnen und Ausbilder in den Betrieben weiterbildet. Neben der Vermittlung und dem Austausch von Wissen und Erfahrungen über den Umgang mit Auszubildenden geht es vor allem auch darum, dass die verschiedenen Akteure gut zusammenarbeiten. Eine funktionierende Koordination ist eine wichtige Grundlage, um einen gemeinsamen Ausbildungsplan zu erstellen und diesen auch gemeinsam umzusetzen.

Als ehemalige Projektleiterin haben Sie bei GOVET ministerielle und institutionelle Partner beraten. Welche Erfahrungen aus Ihrer Arbeit bei GOVET können Sie nun in Ihrer Tätigkeit einbringen?

Bei GOVET habe ich Ghana, Indien, Griechenland und Lettland hinsichtlich beruflicher Bildung beraten. Im Rahmen dieser Tätigkeit hatte ich sehr viel fachlichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und bin so tiefer in die deutsche Berufsbildung eingestiegen. Des Weiteren habe ich in den dreieinhalb Jahren bei GOVET viel über die Berufsbildungssysteme anderer Länder gelernt. Dieses Wissen kann ich nun in Äthiopien an meine Partner weitergeben. Meine Erfahrungen bei GOVET im BIBB sind somit eine sehr gute Grundlage, um nun Partner vor Ort gezielt beraten zu können.

Auch kann ich nun auf ein starkes Netzwerk zurückgreifen –  Verbindungen, die aus meiner Zeit im BIBB hervorgegangen sind. STEP hat während der sehr anstrengenden Corona-Anfangszeit einige Online-Formate mit Expertinnen und Experten aus dem BIBB organisiert, die zum Kapazitätsaufbau der Partner beigetragen haben. Dies führte auch dazu, dass das BIBB bei den äthiopischen Ministerialbeamten stärker als Institution bekannt wurde und sie sich nun aktiv um eine Kooperation mit dem Bundesinstitut bemühen.

Inwieweit nutzen Sie weiterhin Angebote von GOVET?

Ich bin ein großer Fan der GOVET-Materialien und binde sie nach wie vor in die Partnerberatung ein. Insbesondere kürzere Clips wie z.B. das Video zur „Handlungsorientierung in der Beruflichen Bildung“ machen sich sehr gut als Inputs in Workshops mit Partnerfachkräften.

Digitale und nachhaltige Transformationen verändern die berufliche Aus- und Weiterbildung. Warum ist Berufliche Bildung in diesen Zeiten so wichtig?

Berufliche Bildung wird auch in Zukunft eine wichtige und entscheidende Rolle haben. Sie trägt maßgeblich zum sozialen Zusammenhalt wie auch zur wirtschaftlichen Entwicklung eines jeden Landes bei. Denn jedes Land braucht gut gebildete und gut ausgebildete Jugendliche und junge Erwachsene.

Äthiopien hat sich zum Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren ein ‚middle-income country‘ zu werden. Das Land möchte dementsprechend die äthiopische Industrie stärken, um mehr Wohlstand zu schaffen. Dieses funktioniert aber nur, wenn Firmen (egal ob staatlich oder privat) auf gut ausgebildete (Nachwuchs)-fachkräfte zugreifen können. Gleichzeit benötigt Äthiopien ein gutes Bildungssystem und muss seine Jugendarbeitslosigkeit reduzieren, damit junge Menschen eine Perspektive haben. Denn mehr Zufriedenheit und ein stärkerer Zusammenhalt in der Bevölkerung tragen zur Konfliktprävention bei. Insbesondere in einem Vielvölkerstaat wie Äthiopien ist dies bedeutsam, da Konflikte und militärische Auseinandersetzungen den mühsam aufgebauten Wohlstand sehr schnell wieder zu Nichte machen können.

Die Digitalisierung ist auch hier in Äthiopien ein großes Thema. Aus diesem Grund arbeitet das STEP mit den Partnern an der Digitalisierung von Kernprozessen der Berufsbildung. Hier ist z.B. die Einschreibung von Auszubildenden an Berufsschulen zu nennen. In Äthiopien schreiben sich Auszubildende an der Berufsschule ein, während in Deutschland ein Ausbildungsvertrag mit einem Betrieb abgeschlossen wird. Die Einschreibung läuft in Äthiopien meistens noch manuell ab, so dass Auszubildende vor Ort sein müssen. Eine digitale Einschreibung soll den Prozess vereinfachen. Außerdem wird daran gearbeitet, digitale Medien in die Ausbildung einzubringen, so dass Lernen attraktiver wird, besser gelingt und ggf. sogar Ressourcen-schonender ist.

Die „Strategie der Bundesregierung zur internationalen Berufsbildungszusammenarbeit aus einer Hand“ wurde vor fast zehn Jahren verabschiedet. Sie setzt den Rahmen für eine kohärente und komplementäre Umsetzung der mitgestaltenden Akteure. Wie zeigt sich die Wirksamkeit der Strategie auf der Umsetzungsebene und ganz konkret wie macht sie sich in Ihrer Arbeit bemerkbar?

Äthiopien ist ein wichtiges Land der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, was zum Einen an der geografischen Lage Äthiopiens und dem Sitz der Afrikanischen Union liegt und zum Anderen an dem Bedarf an Unterstützung. Es gibt dementsprechend eine Vielzahl deutscher sowie internationaler Akteure, die mit Äthiopien zusammenarbeiten.

Deutschland ist bezüglich der Berufsbildungszusammenarbeit in einer Vorreiterrolle und bei den entsprechenden Partnern sehr bekannt. Dies liegt an großen Projekten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), die teilweise kofinanziert sind, sowie an kleineren Projekten, die z.B. durch einzelne deutsche Verbände umgesetzt werden. Wichtig sind hier natürlich die Zusammenarbeit und die Abstimmung, so dass alle ‚an einem Strang ziehen‘. Dies geschieht meines Erachtens in vielen Bereichen schon sehr gut. STEP stimmt sich beispielsweise neben anderen Geberländern wie Italien auch mit den in Addis Abeba ansässigen deutschen Stiftungen und auch kleineren Projekten wie z.B. dem PartnerAfrika Projekt des BMZ ab, das durch die sequa betreut und durch die Bauverbände NRW umgesetzt wird. Daraus entstehen gute Synergieeffekte, die letztendlich den äthiopischen Partnern zu Gute kommen.

Hintergrund

Äthiopien durchlebt aktuell einen dynamischen Umbruch mit umfassenden politischen und wirtschaftlichen Reformen. Diese Neuerungen schlagen sich auch in der Berufs- und Fachhochschulbildung des zweitbevölkerungsreichsten Landes auf dem afrikanischen Kontinent nieder. Das Programm STEP (Sustainable Training and Education Programme) hat zum Ziel, dass Absolvent*innen der Berufsschulen und Fachhochschulen, Arbeitssuchende leichter am Berufsleben teilnehmen oder sich selbstständig machen können. Es setzt auf eine engere Zusammenarbeit zwischen Bildungswesen, Wirtschaft und Gesundheitswesen, um das Berufsbildungs- und Fachhochschulsystem stärker auf die Bedürfnisse der Wirtschaft abzustimmen.