GOVET-Fachseminar zum „Lernen von anderen“ in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit
Mit dem Blick über den Tellerrand Innovationen fördern, bewährte Praktiken übernehmen und die Berufsbildung global nachhaltiger und inklusiver gestalten. Die Ergebnisse fassen wir in einer ausführlichen Summary zusammen.

Die Nachfrage nach deutscher Beratung und partnerschaftlicher Unterstützung bei Berufsbildungsreformprozessen und damit dem Lernen von Deutschland im Rahmen der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit (iBBZ) ist unvermindert groß. Denn die deutsche Berufsausbildung genießt vor allem in ihrer dualen Form international einen sehr guten Ruf. Gleichzeitig steht die Berufsbildung auch in Deutschland unter transformativem Druck, um den globalen Herausforderungen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel oder Förderung der Attraktivität von Berufsbildung zu begegnen. Daher wird die Forderung immer lauter, dass die iBBZ keine Einbahnstraße sein sollte. Denn der internationale Austausch und die Anregung von außen können wichtige Impulse setzen für die Weiterentwicklung der nationalen Berufsbildung in Deutschland im Umgang mit den transformativen Herausforderungen.
Im Rahmen des virtuellen Fachseminars tauschten sich Ende Juni mehr als 60 Vertreterinnen und Vertreter der Akteure am Runden Tisch für internationale Berufsbildungszusammenarbeit über bereits existierende Ansätze und Möglichkeiten des Lernens von anderen für die Weiterentwicklung der deutschen Berufsbildung aus. Die Teilnehmenden kamen aus dem In- und Ausland z. B. von Bundesministerien, Kammern, deutschen Botschaften, der GIZ und aus den Bundesländern.
Einführend berichteten Dr. Hannelore Kress und Julia Olesen von GOVET von einer Umfrage im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zum Stand des „Lernens von anderen“ in der deutschen Berufsbildung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die starken, aber manchmal nicht sehr flexiblen Organisationsstrukturen des deutschen Berufsbildungssystems zwar ein Teil des deutschen Erfolgsmodells sind, sie aber auch mit Interesselagen und Routinen verbunden sind, die zu einem Mangel an Dynamik und Agilität führen könnten. Dies behindere das Lernen von anderen. Entsprechend zeigte eine spontane Umfrage unter den Seminarteilnehmenden, dass die deutsche Berufsbildung insbesondere bei Flexibilität und Offenheit dazulernen könnte. Als weitere Themen mit Lernpotential wurden die Attraktivität der Berufsbildung und die Inklusion angegeben. Auf die Frage nach der adäquaten Methode sahen die Teilnehmenden das größte Potential bei gemeinsamen Projekten mit den Partnerländern und bei Studienreisen.
Die drei im folgenden resümierten Vorträge lieferten konkrete Einblicke in das „Lernen von anderen“ – im europäischen Kontext, in der Ausbildungsfinanzierung und in der bilateralen Zusammenarbeit mit Ghana und Vietnam.
Resümee der Vorträge
Schaut man auf den europäischen Kontext, so ist das „Lernen von anderen“ in der EU bereits seit langem verankert. Auch wenn die Bildung grundsätzlich nationaler Hoheit unterliegt, so fördert die EU doch die Zusammenarbeit und das voneinander Lernen bei gemeinsamen Herausforderungen wie dem grünen und digitalen Wandel oder dem Fachkräftemangel und leitet daraus teilweise Empfehlungen und Leitlinien ab.
Isabelle Le Mouillour, BIBB, stellte in diesem Zusammenhang die Peer Learning Aktivitäten (PLA) und die Peer Reviews der EU vor. Bei den PLA werden im Rahmen von mehrtägigen Arbeitstreffen einschlägiger Stakeholder der Mitgliedsländer zentrale Themenfelder der Berufsbildung (entlang von 14 Kriterien) besprochen. Pro Sitzung wird ein durch die nationalen Koordinatoren eingereichtes Thema (Kriterium) behandelt. Bei diesem leichtgängigen, flexiblen Format geht es darum, sich über berufspolitische Initiativen auszutauschen, voneinander zu lernen und Gestaltungsmöglichkeiten zu eruieren. Ob sich aus dem gegenseitigen Lernen eine konkrete Wirkung entwickelt, bleibt dem jeweiligen Mitgliedsland überlassen.
Peer Reviews hingegen sind stärker formalisiert (strukturierte Analyse, umfangreiche Vorbereitung und Dokumentation). Hier geht es im Rahmen der Qualitätssicherung von Berufsbildung um die Identifikation wichtiger Herausforderungen und verbesserungswürdiger Bereiche sowie die Entwicklung von Lösungsansätzen und das Formulieren von fundierten Empfehlungen.
Im zweiten Fachvortrag, gehalten von Prof. Gerhard Bosch, Universität Duisburg/Essen und Timo Gayer, IG Metall Vorstand, ging es um ein konkretes Beispiel des Lernens von Dänemark und den USA zur Einführung eines Ausbildungsfonds für Deutschland. Bei einem solchen Fonds handelt es sich um zweckgebundene Geldmittel, die über eine obligatorische Umlage von Unternehmen erhoben werden, um mit dem Geld Risiko und Kosten von Ausbildung anders zu verteilen und einem möglichen Marktversagen gegenzusteuern.
In Deutschland gibt es derartige Fonds bereits im Bausektor und in der Pflege. Als erstes Bundesland hat außerdem Bremen im Jahr 2024 einen Ausbildungsfonds eingeführt. Er wurde von einer Expertenkommission anhand der Ansätze und Erfahrungen des dänischen nationalen Ausbildungsfonds entwickelt. Der Fonds genießt in Dänemark eine hohe Akzeptanz durch die Sozialpartner und hat positive quantitative Wirkungen in einigen, wenn auch nicht allen Branchen.
Das Bremer Modell eines Ausbildungsfonds ließe sich auch auf andere Bundesländer und ggf. den Bund übertragen. Einige Bundesländer haben bereits Interesse signalisiert. Auf Bundesebene gäbe es größere Gestaltungsmöglichkeiten als auf Länderebene, bisher gibt es aber für eine nationale Einführung keinen Konsens. Grundsätzlich wichtig für die Umsetzung eines Ausbildungsfonds ist die Bereitschaft zur Kommunikation und eine gute Zahlenbasis. Denn Fondslösungen sind im deutschen Berufsbildungssystem grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Es gibt in Deutschland aber bisher kaum Studien zu den Wirkungen von Ausbildungsfonds auf Ausbildungsquantität und -qualität. Hier kann man von den USA lernen, die bereits über umfangreichere Studien z. B. zu den Wirkungen ihres Fonds im Bausektor verfügen.
Wie das „Lernen von anderen“ in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit funktionieren kann, zeigen Beispiele aus Vietnam und Ghana.
Markus Kamann, GPDM – Die Bildungsarchitekten, berichtete vom Aufbau von Berufsbildungszentren in Vietnam in Zusammenarbeit mit der GIZ (High Quality TVET Institutes). Diese Berufsschulen werden unterstützt, Praxis- und Arbeitsmarkt-orientierte berufliche Erstausbildung, aber auch Fort- und Weiterbildung anzubieten. Diese Exzellenzzentren beschrieb Markus Kamann auch als Lehrfabrik, da in ihnen eine Vielfalt an Aspekten des Lernens und Lehrens abgedeckt werden können.
Um zu überprüfen, wo die einzelnen Berufsschulen stehen, hat Vietnam eine Klassifizierung der Bildungsinstitute nach gemeinsamen Standards vorgenommen. Ob eine Berufsschule die nächste Exzellenzstufe erreichen möchte, ist freiwillig, wird aber durch finanzielle Unterstützung honoriert. Mit diesem Verfahren der Finanzierung nach Niveaustufen (Exzellenzpyramide) soll die Motivation zur Qualitätssteigerung erhöht, den Berufsschulen aber die Möglichkeit gegeben werden ihre spezifische Situation und ihre Bedarfe einfließen zu lassen.
Manche der Ausbildungsprogramme sind an deutschen Standards orientiert. Dazu wurden die deutschen Berufsbilder nach Vietnam transferiert und gleichzeitig modernisiert bzw. an die betriebliche Realität in Vietnam angepasst. Zur Sicherstellung und Überprüfung der Äquivalenz mit den deutschen Ausbildungen gibt es verschiedene Kooperationspartnerschaften mit deutschen Organisationen, wie z. B. mit der Handwerkskammer Aachen. Durch diese Partnerschaften und den Austausch mit z. B. deutschen Berufsschullehrern bietet das Projekt gegenseitige Entwicklungs- und Lerneffekte.
Ein weiteres Praxisbeispiel kam aus Ghana und machte deutlich, wie das Lernen von anderen erfolgreich etabliert werden kann und funktioniert. Samuel Thompson, Commission for TVET Ghana (CTVET), beschrieb, wie Ghana das "Lernen von anderen", in diesem Fall Deutschland, systematisch für die Transformation seines Berufsbildungssystems genutzt hat. Startpunkt waren die Formulierung der zu erreichenden Berufsbildungsziele und der Aufbau von CTVET als zuständiger Institution (bereits mit Hilfe der Expertise aus Deutschland). Zur Umsetzung der Ziele wurden einzelne Themen ausgewählt, für die gezielt Impulse aus dem Ausland, insbesondere Deutschland, gesucht wurden. Themen waren z. B. der Aufbau von Sektor Skills Bodies, die Erstellung eines jährlichen Datenreports, die Verbesserung der Attraktivität von Berufsbildung, die Integration von Nachhaltigkeit und die Einführung eines modifizierten dualen Systems. Die externe Expertise wurde an die Umstände in Ghana angepasst, in Strategien verankert und in politische Maßnahmen überführt. Wichtig bei diesem Prozess war, die nötigen Akteure mit an Bord zu nehmen. Als Erfolgsfaktoren für die stetige Verbesserung von Berufsbildung benennt Samuel Thompson abschließend u. a. effektive Kommunikation während des gesamten Prozesses, Offenheit, politischer Goodwill, und eine starke Führung. Man sollte immer für Veränderungen und Anpassungen bereit sein. Neben dem offenen, kommunikativen Ansatz ließen sich auch aus den ghanaischen Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität und Wahrnehmung von Berufsbildung, wie z. B. den TVET Clubs an den Schulen oder dem Einsatz von beliebten Stars als Role Models, Impulse für das deutsche System ableiten.
Das Fachseminar bestätigt: Lernen von anderen in der Berufsbildung bietet nicht nur unseren Partnerländern, sondern auch dem deutschen System einen Mehrwert und sollte in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit in beide Richtungen gedacht werden. Das fördert nicht nur die Qualität der Berufsbildung, sondern auch die Zusammenarbeit und das gegenseitige Verständnis zwischen den Ländern. Es gibt bereits verschiedene Ansätze, bei denen von anderen gelernt wird, doch ist hier noch Luft nach oben. Insbesondere bei der Implementierung von Impulsen aus dem Ausland im deutschen Berufsbildungssystem wünschen sich die Teilnehmenden mehr Offenheit und Flexibilität der deutschen Berufsbildung. Denn nur so kann der Blick über den Tellerrand seine volle Wirkung entfalten und das Gelernte in die berufliche Bildung von morgen einfließen.