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Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit

Drittes GOVET-Fachseminar im Rahmen des Runden Tisches für internationale Berufsbildungszusammenarbeit

01.12.2022

Wie kann Berufsbildung international zur Umsetzung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Transformation beitragen? Mitte November stellte ein GOVET Fachseminar die möglichen Wege der Integration von Nachhaltigkeit insbesondere in die berufliche Erstausbildung, aber auch die Herausforderungen in den Fokus.

Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit

Klimawandel, Energiewende, nachhaltiges Wirtschaften und globale Gerechtigkeit – beim Umgang mit diesen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen kommt der beruflichen Ausbildung weltweit eine Schlüsselrolle zu. Sie hat die Aufgabe, die für die Transformation benötigten Fachkräfte auszubilden und ermöglicht mehr Menschen einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Außerdem trägt sie wesentlich zu einer nachhaltigeren Arbeitswelt bei, wenn Themen wie z. B. Umweltschutz und der Umgang mit Ressourcen den Fachkräften in allen Berufen vermittelt und damit Wissen und Handlungskompetenz für nachhaltiges Arbeiten und Wirtschaften gefördert werden.

Einführend ordnete Peter Rechmann (GOVET) das Thema Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) in den nationalen und internationalen Kontext ein. BBNE ist Teil der 17 SDGs der UN und Gegenstand verschiedener Programme wie dem UNESCO-Programm BNE 2030, dem European Green Deal oder dem Nationalen Aktionsplan für Nachhaltige Entwicklung BNE der Bundesregierung. Auch im Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) ist BBNE ein Arbeitsschwerpunkt: BBNE Modellversuche, darauf aufbauend BBNE-Transfer und außerdem Einführung der Standardberufsbildposition Umweltschutz und Nachhaltigkeit als verbindliche Mindestanforderung in allen Ausbildungsordnungen.

Diese Entwicklungen spiegeln sich auch in der deutschen internationalen Berufsbildungszusammenarbeit (iBBZ), häufig im Rahmen von Weiterbildungsaktivitäten. Aber das Thema Nachhaltigkeit sollte den Fachkräften von morgen in allen Berufen möglichst bereits von Beginn an vermittelt werden, um schon die Auszubildenden dafür zu sensibilisieren, ihr Handeln mit Blick auf ökologische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen zu reflektieren.

Das Fachseminar bot den rund 50 teilnehmenden Vertreter*innen der Akteure am Runden Tisch, ihrer jeweiligen Häuser sowie verschiedener deutscher Auslandsvertretungen und Bundesländer die Möglichkeit, sich auf der Grundlage von Impulsen aus Wissenschaft und Forschung und Best-Practice-Beispielen über BBNE aus nationaler wie internationaler Sicht auszutauschen. Neben der fachlichen Vertiefung ging es vor allem um Impulse für die BBNE-Umsetzung in der internationalen Kooperation sowie um Vernetzung der Akteure. Schwerpunkt der Betrachtung war die berufliche Erstausbildung.

Nachhaltigkeit in der Berufsbildung national und international

Der Beitrag von Markus Bretschneider (BIBB) zur Nachhaltigkeit in den Ausbildungsordnungen in Deutschland gab einen Einblick in die Inhalte der im Konsens aller Stakeholder um das Thema Nachhaltigkeit erweiterten Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“. Die 2021 in Kraft getretene Fassung ergänzt die umweltgerechte Nutzung von Produkten, Waren oder Dienstleistungen, Materialien und Energie um das Berücksichtigen von wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten in den Arbeitsprozessen. Darunter fallen Aspekte von nachhaltigen Wertschöpfungsketten, fairem Handel und die Reflexion von Zielkonflikten zwischen den einzelnen Nachhaltigkeitsdimensionen. Die Auszubildenden werden außerdem angeregt, Vorschläge für nachhaltiges Handeln im eigenen Arbeitsbereich zu entwickeln.

Standardberufsbildpositionen beinhalten Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten, die eine wesentliche Grundlage und damit ein unverzichtbares Element allen beruflichen Handelns darstellen und die daher berufsübergreifend während der gesamten Berufsausbildung begleitend vermittelt werden sollen. Um die Effektivität dieser Mindestanforderungen, die wenn nötig angepasst auch für andere Länder nutzbar sind, zu verbessern, ist eine darüber hinaus gehende berufsspezifische Verankerung unverzichtbar. Generell soll von der Standardberufsbildposition eine Signalwirkung ausgehen, Erfolgsfaktor ist und bleibt aber die Umsetzungsebene.

Auch der BIBB Kongress 2022 „Future Skills – Fortschritt denken“ hat sich mit dem Thema Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung beschäftigt. Im Denkraum zur Green Economy ging es um die großen Potentiale der Berufsbildung zur Gestaltung nachhaltiger Entwicklung. Dr. Hannelore Kress von GOVET zeigte in ihrem Beitrag am Beispiel der Liefer-/Wertschöpfungskette vom Korn zum Brot einer fiktiven Großbäckerei auf, wie also nachhaltigkeitsbezogene berufliche Kompetenzen als integraler Bestandteil der Ausbildung entlang dieser Lieferkette gefördert werden können. Ausgangspunkt ist dabei die oben genannte Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit. In diesem Vorgehen liegt gleichzeitig national wie international die Chance, die Berufe zu modernisieren und die Attraktivität der Ausbildung zu steigern.

Andreas Baitinger (GSiHmTO Stuttgart) vertiefte diesen Blickwinkel um die Nachhaltigkeitsgesichtspunkte in der Wertschöpfungskette der Müllerei und der Ausbildung zur Müller*in und erläuterte wie die Zusammenarbeit mit Partnern in Brasilien und Australien dies befruchtet. Neben den Energieeinsparmöglichkeiten in der Mühle und dem bewussten Umgang mit den Ressourcen sind die Reduzierung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln beim Getreideanbau, der Umgang mit zunehmender Dürre aufgrund des Klimawandels sowie kurzen Transportwegen durch regionalen Anbau wichtige Themen in der Ausbildung. Besondere Bedeutung kommt in der Müllerei aber auch der nachhaltigen Verminderung von Verderb bei der Lagerung zu. Hier liefern die Erfahrungen aus den beiden Partnerländern wichtige Erkenntnisse (u. a. Schädlingsbekämpfung durch Zugabe von aus fossilen Kieselalgen gewonnener Kieselerde (Diatomaceous Earth (DE)) im Getreidestrom), die ebenfalls in die Müller*innenausbildung einfließen. Umgekehrt fließen die deutschen Erfahrungen in die Arbeit und Ausbildung der Partner in den beiden Ländern ein.

Nachhaltigkeit in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit

Auch in der Berufsbildungszusammenarbeit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) spielt das Thema Nachhaltigkeit in der Berufsausbildung eine zunehmend große Rolle. Dies zeigten die Beiträge von Anja Speicher, Sektorvorhaben Berufliche Bildung der GIZ, und Afsana Rezaie, GIZ Vietnam.

Um dazu beizutragen, dass dem Thema in den Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) aber auch durch die Partnerländer selbst möglichst effizient Rechnung getragen werden kann, untersucht das Sektorvorhaben in einer Studienreihe, welche Anforderungen die berufliche Bildung erfüllen muss, um einen gerechten Übergang zu einer grünen Wirtschaft zu ermöglichen. Ihr Ziel ist es, den notwendigen Interventionsbedarf herauszuarbeiten und als Input für die Diskussion und die konzeptionelle Entwicklung von Green TVET-Ansätzen zur Verfügung zu stellen, praxisorientierte Empfehlungen auszusprechen und eine politische Vision für die Zukunft zu entwickeln. Dazu werden sieben Thesen zu den notwendigen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (z. B. Unterstützung des Privatsektors oder Integration der informellen Wirtschaft) sowie zu der Rolle und Gestaltung von Berufsbildungssystemen in einem gerechten Übergang (z. B. ganzheitliche Reformen, Anpassung und Entwicklung von Berufsbildern) aufgestellt und die für das Thema Nachhaltigkeit besonders wichtigen Sektoren Transport/Mobilität, Nachhaltiges Bauen und Erneuerbare Energien näher betrachtet. Insgesamt basieren die Studien auf einer Sichtung aktueller Literatur und auf Interviews mit Expert*innen aus Projekten insbesondere in Afrika und Asien und sollen 2023 abgeschlossen sein.

Das Vorhaben „Programm Reform der Berufsbildung in Vietnam II“ der GIZ ist eines der Projekte, das in die Studien eingeflossen ist und es ist ein gutes Beispiel für Nachhaltigkeit in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit. Vietnam strebt bereits seit einigen Jahren ein ökologisch nachhaltiges Wachstum an mit einer hohen Priorität für BBNE und dem Ziel, bis 2040 aus der Kohleverstromung auszusteigen und bis 2050 Nullemissionen zu haben. Vor diesem Hintergrund zielt ein Kernvorhaben des Projekts darauf ab, das Land dabei zu unterstützen sein Berufsbildungssystem entsprechend anzupassen. Die Berufsbildung soll dem Auszubildenden aber auch dem Management nicht nur die für den Wandel am Arbeitsplatz benötigten Fähigkeiten vermitteln, sondern auch das nötige Wissen und die Kompetenzen, um den generellen Herausforderungen einer nachhaltigen Transformation begegnen zu können. In Anlehnung an die Umsetzungskomponenten von UNESCO-UNEVOC (greening the campus, greening the curriculum, greening research, greening the community und building a green culture) berät die GIZ Vietnam u. a. bei der Gestaltung grüner Curricula und Akkreditierungskriterien für Berufsbildungsinstitute, unterstützt aber auch die Implementierung von Nachhaltigkeitsgesichtspunkten an Partner-Berufsbildungsinstituten. Dies tut sie insbesondere durch die Etablierung neuer grüner Ausbildungsprogramme z. B. im Bereich Abwassertechnik oder Elektronik für Energie- und Gebäudetechnik, die Unterstützung beim Aufbau eines Kompetenzzentrums für grüne Berufsbildung oder auch durch die zur Verfügungstellung von berufsübergreifendem Trainingsmaterial.

Abschließend berichteten Silke Steinberg und Rüdiger Klatt (FIAP e.V.) über ein weiteres Best Practice Beispiel für BBNE in der iBBZ, nämlich das deutsch-griechische Forschungs- und Entwicklungsprojekt GRÆDUCATION bzw. sein Anschlussprojekt Future4VET. Bei dieser Zusammenarbeit geht es um die Integration von „Green Skills“ in die Aus- und Weiterbildung insbesondere der umwelttechnischen Berufe zur Steigerung der Qualität, Attraktivität und Innovationskraft der beruflichen Ausbildungsangebote in Griechenland aber auch um das generelle „Greening“ der Berufe. Zur Weiterentwicklung der Berufsbilder werden beispielsweise grüne Curricula und Ausbildungsmodule aber auch Weiterbildungsprogramme für Lehrer und betriebliche Ausbilder entwickelt und in der Umsetzung unterstützt. Denn die Lehrer und Ausbilder dienen als Multiplikatoren des grünen Wandels. Begleitet werden diese Ansätze durch die Entwicklung von Marketingkonzepten für grüne, technische Ausbildungsberufe zur Steigerung ihrer Attraktivität u. a schon bei den Schüler*innen. GRÆDUCATION ist zudem am Aufbau eines grünen Berufsbildungscampus beteiligt. Future4VET intensiviert und systematisiert die bestehenden Ansätze und fördert besonders den sozialpartnerschaftlichen Dialog in der beruflichen Bildung. Beide Projekte beruhen auf einem co-kreativen Ansatz. Das heißt, die Partner entwickeln gemeinsam Lösungen und geben sich so gegenseitig Innovationsimpulse für die Anpassung ihrer Berufsbildungssysteme.

Zusammenfassend können verschiedene Erfolgsfaktoren und Herausforderungen der Nachhaltigkeit in der beruflichen (Erst-) Ausbildung festgehalten werden, die in den Folien (rechte Spalte) beschrieben werden.

Fazit und Ausblick

Die Beiträge wie auch das große Interesse am Fachseminar und das positive Feedback haben gezeigt, dass Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung (BBNE) ein wichtiger Teil der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit ist und zunehmend sein wird. Sie ist ein Thema, an dem alle Länder gleichermaßen arbeiten müssen, denn es ist offensichtlich: die „grüne“ Transformation braucht passend ausgebildete Fachkräfte. Ohne sie lassen sich die gesteckten Ziele nicht erreichen. Ausgehend von der deutschen Standardberufsbildposition „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“ wurde diskutiert und gezeigt, wie Nachhaltigkeit als integraler Bestandteil der Erst-Ausbildung national wie international stärker gefördert werden kann. Die Modellversuche der Berufsbildung für nachhaltige Entwicklung sowie Angebote aus dem globalen Lernraum der internationalen Berufsbildungskooperation steuerten hierzu richtungsweisende Erkenntnisse, Konzepte und Praxisbeispiele bei. Deutlich wurde, welch großes Potential die Berufe zur Gestaltung nachhaltiger Entwicklung bieten und welche Verantwortung die Berufsbildung trägt, die dafür nötigen transformativen Kompetenzen zu fördern. Die neuen, nachhaltigkeitsorientierten Angebote im Rahmen der grünen Transformation machen die berufliche Bildung aber auch moderner und attraktiver. Eine besondere Rolle kommt dabei den Lehrenden in der Berufsbildung zu, denn sie sind die Multiplikatoren des grünen Wandels.

Als Ergebnis des Fachseminars lässt sich für die internationale Berufsbildungszusammenarbeit festhalten: Auch in der Berufsbildungskooperation ist die grüne Transformation angekommen und es gibt viel voneinander zu lernen, denn die nationalen Handlungsansätze sind häufig auch international umsetzbar. Die Ansatzpunkte für die weitere Zusammenarbeit werden in der Folie „Offene Themen und To Dos“ (rechte Spalte) beschrieben.

Das Format „Fachseminar“ am Runden Tisch für die internationale Berufsbildungszusammenarbeit hat sich demnach wieder bewährt; weitere Seminare zu anderen Themenbereichen der Nachhaltigkeit sollen folgen.