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GOVET Fachseminar „Unabhängige China-Kompetenz vor dem Hintergrund des wachsenden Einflusses Chinas auf die globale Wirtschaft“

Der Bedarf an Menschen mit China-Expertise ist groß, auch in der deutschen Berufsbildung. Die Bedeutung einer Berufsbildungszusammenarbeit hat ihren Charakter geändert, denn China hat viel von der dualen Aus- und Weiterbildung gelernt und stärkt seinerseits in anderen Ländern die Chinakompetenz.

Bunte Spielfiguren, Weltkugel im Vordergrund und die Grafik mit Beschriftung: Dokumentation

China ist als wichtiger Akteur der globalen Wirtschaft und Geopolitik von zentraler Bedeutung für Deutschland. So hat China mit der „National Smart Education Platform“ die weltweit größte KI-gestützte Bildungsplattform aufgesetzt, die in allen UN-Sprachen zur freien Verfügung steht. Die Plüschtier-Figur „Labubu“ soll über Social Media zum begehrten Sammlerobjekt werden und mit einem positiven Image bei jungen Leuten das Interesse an China wecken.

Vor diesem Hintergrund müssen in Deutschland die nötigen unabhängigen Kompetenzen für den Umgang mit China auf- und ausgebaut werden. Es geht darum, die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen in China und die Zusammenhänge nicht nur zu verstehen, sondern auch einordnen zu können. Aber wie steht es in Deutschland um diese China-Expertise? Und wie läuft derzeit die deutsche und chinesische Berufsbildungszusammenarbeit? Zu diesen Fragen veranstaltete GOVET ein Fachseminar und bot Ende Oktober rund 40 Vertreterinnen und Vertretern deutscher Akteure der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit (iBBZ) die Möglichkeit zur Diskussion. Ziel war es, den Teilnehmenden die aktuelle Lage zu erläutern und Optionen aufzuzeigen, wie sie als Akteur die China-Kompetenz stärken und die eigene Handlungsfähigkeit in der Zusammenarbeit ausbauen können. Analysen und Beispiele aus der Praxis zeigten Chancen und Risiken auf.

Die China Strategie der Bundesregierung

Die große Bedeutung von Chinakompetenz für eine Kooperation auf Augenhöhe und die Stärkung deutscher Resilienz und Handlungsfähigkeit wird in der China-Strategie der Bundesregierung von 2023 hervorgehoben. Hierzu erläuterte Hans-Gerhard Reh vom Bundesbildungsministerium (BMBFSFJ), dass die Strategie auf drei Säulen aufgebaut sei. China werde als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale betrachtet. Das heißt, man möchte gemeinsam mit China als Partner globale Herausforderungen wie z. B. die Klimakrise oder den Schutz eines fairen Handels angehen. Gleichzeitig stünden Deutschland und Europa aber auch im wirtschaftlichen Wettbewerb mit China und betrachten das Land als systemischen Rivalen, der in wichtigen Bereichen unterschiedliche Vorstellungen über die Prinzipien der internationalen Ordnung habe, z. B. wenn es um Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit gehe. Daher betrachte die Bundesregierung unabhängige Chinakompetenz als zwingend notwendig, um strategisch agieren, kulturelle Sensibilitäten berücksichtigen und deutsche sowie europäische Standards wahren zu können, aber auch um zielgerichtet von China zu lernen. Die Strategie diene dabei vor allem der Abstimmung der Ressortaktivitäten im Umgang mit China.

Aber was versteht man unter unabhängiger Chinakompetenz? Hierzu formuliert die Strategie, dass sie die Fähigkeit umfasst, die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen in China differenziert zu bewerten, die eigene Handlungsfähigkeit in der Zusammenarbeit auszubauen und Projekte umzusetzen, die auch einen klaren Mehrwert für Deutschland und Europa haben. Zur Chinakompetenz gehören demnach u.a. Sprachkompetenz, interkulturelle Kompetenz und landeskundliche Fachkompetenz, Wissen um die Ziele des globalen Engagements Chinas und praktische Erfahrung in der bilateralen Zusammenarbeit im Kontext des chinesischen politischen Systems.

Insgesamt wirbt die Strategie für eine abgestimmte Förderung unabhängiger Chinakompetenz in Deutschland, ist aber gleichzeitig konsequent europäisch. Denn ein erfolgreicher Umgang mit China kann nur durch einen europäischen Schulterschluss erreicht werden.

Chinas Bildungs- und Wirtschaftspolitik in Zeiten Künstlicher Intelligenz

Zur Einordnung der Situation in China berichtete Claudia Wessling, Director Communications & Publication im Mercator Institut für China Studien (MERCIS), dass Chinas ab 2026 laufender Fünfjahresplan wirtschaftspolitisch auf Innovation fokussieren werde, mit dem Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und technologischen Führerschaft. Ein besonderer Schwerpunkt sei dabei die weitere Förderung von Hightech-Sektoren und Künstlicher Intelligenz (KI). Letztere gelte als sektorübergreifender Problemlöser und werde auf allen Ebenen staatlich unterstützt. Allerdings sei das KI-System in China eher intransparent und die Entwicklung werde politisch beeinflusst und instrumentalisiert. Auch der Datenschutz sei problematisch.

Um ihr Ziel zu erreichen, sehe China zudem die Notwendigkeit von Produktivkräften neuer Qualität. Dies führe zu einer Priorisierung der Fachkräfteausbildung, auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels in verschiedenen chinesischen Hightech Branchen, inklusive der Künstlichen Intelligenz. Fachkräfte fehlten dort, trotz einer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Ein Lösungsansatz zur Schließung der Qualifikationslücke sei die Einführung der bereits weiter oben erwähnten „National Smart Education Plattform“ für Lernende im In- und Ausland. Zur Gewinnung von Expertinnen und Experten sowie Fachkräften aus dem Ausland biete China außerdem Vorzugsvisa und Rekrutierungsprogramme an, nutze dafür aber auch die internationale Berufsbildungszusammenarbeit. Zum Beispiel dienten die von China in verschiedenen Ländern eingerichteten „Luban“ Bildungszentren und Weiterbildungsworkshops auch als Werbemaßnahme für China.

Bilaterale Berufsbildungskooperation mit China

Auf die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland mit Bezug auf die Berufsbildung ging Dr. Hannelore Kress, Sprecherin Berufsbildungskooperationen bei GOVET in ihrem Beitrag ein. Sie zeigte auf, dass die bilaterale Kooperation zwischen den Jahren 2011 und 2020 an Fahrt aufgenommen hat, dann aber ins Stocken geraten ist. So hätten beide Länder 2011 eine Allianz gegründet zur Einführung dualer Elemente in Chinas Berufsbildung gefolgt von einer Vereinbarung über den Aufbau von Kooperationszentren für Berufsbildung in China. Ab 2014 habe der Fokus des gemeinsamen Interesseses im Bereich Umwelttechnik und Qualitätsbildung gelegen. Hier lägen die Kompetenzen in China aber auf akademischem Niveau, so dass keine Projekte umgesetzt werden konnten. Auch die Funktion der Kooperationszentren sei nicht zu klären gewesen. Ab 2015 habe der Fokus dann auf Digitalisierung in der Fertigung (Industrie 4.0) gelegen, was dann 2017 zum chinesischen Interesse an der Einführung neuer Ausbildungswege (Berufsbildung 4.0) geführt habe, die digitale und technologische Kompetenzen wie KI und Robotik integrieren. Deutschland habe in der Folge vermehrt nach China geblickt, um von der Integration innovativer Technik und Automatisierung in die Berufsbildung zu lernen.

Faktencheck - Chinakompetenz in Deutschland

Wie es um die Chinakompetenz in Deutschland insbesondere im Bereich des Spracherwerbs steht, beleuchtete Dr. Hue San Do, Referentin für Wissenstransfer & Vernetzung beim Bildungsnetzwerk China. Das unabhängige Netzwerk wurde 2020 auf Initiative der Stiftung Mercator und des Goethe-Instituts gegründet und zielt auf die Förderung von Chinakompetenz. Dieser Aufgabe komme man durch Information, Beratung, Wissensvermittlung und Vernetzung der beteiligten Akteure nach. Diese seien insbesondere Schulen, Universitäten und Vereine in Deutschland sowie Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler. Außerdem würden zur Unterstützung der effektiven Ausrichtung von Aktivitäten auch statistische Zahlen zur Entwicklung der Chinaexpertise in Deutschland erhoben. Aufgrund zurückgehender Studierendenzahlen in der Sinologie und fehlender regionaler Kenntnisse von Fachkräften wurde 2023 ein Arbeitskreis ins Leben gerufen, um nach Wegen zur Erhöhung der Chinakompetenz zu suchen. Mitglieder des Arbeitskreises seien das BMBFSFJ (ehem. BMBF), die Kultusministerkonferenz (KMK) und das Auswärtige Amt. Eine eingesetzte Expertengruppe zur Förderung von „Chinesisch als Fremdsprache“ empfehle in Bezug auf die Berufsbildung Maßnahmen in folgenden vier Handlungsfeldern: Sprach- und interkulturelle Handlungskompetenz vermitteln, Mobilität und Austausch in Chinesisch-sprachige Regionen fördern, Materialien und Fortbildungen für Lehrkräfte bereitstellen und Pilotschulen sowie Zusatzqualifikationen wie die bereits existierende IHK Zusatzqualifikation Asienkaufmann/-kauffrau stärken. Konkret gelte es z.B. an den Berufsschulen mehr Chinesisch-Kurse anzubieten und das Sprachangebot auch curricular zu verankern. Zusätzlich könnten Chinesisch AGs und chinabezogene Projekttage durchgeführt werden. Auch in die berufsbezogenen Fächer könnte chinabezogenes Fachwissen integriert werden. Insgesamt müsse die Relevanz des Themas Chinakompetenz stärker beworben und gute Projekte sichtbar gemacht werden.

Praktische Erfahrungen

Aus der Praxis des Chinageschäfts berichteten Carlo Humberg, Leiter des Chinageschäft beim TÜV Rheinland und Dr. Hannelore Kress.

Als unabhängiger Dienstleister für Qualitätssicherung (Prüfung, Inspektion, Zertifizierung, Ausbildung etc.) ist der TÜV Rheinland bereits seit mehr als 35 Jahren in der Region Greater China tätig und verfügt daher über langjährige Chinakompetenz. Mit rund einem Fünftel des Gesamtumsatzes ist die Region heute der stärkste Markt für das TÜV-Geschäft außerhalb Deutschlands.

Vor diesem Hintergrund verweist auch Dr. Carlo Humbert darauf, dass China den Ausbau der Berufsausbildung in den Mittelpunkt stelle und weniger den der Universitäten und Fachhochschulen. Dabei habe China weiterhin Interesse an Berufsbildungskooperation und Austausch mit anderen Ländern, insbesondere dann, wenn es die eigenen technologischen Entwicklungsziele unterstütze, wie z. B. bei Robotik, KI, Biotechnologie. Er teile die Beobachtung, dass China mit seiner internationalen Berufsbildungszusammenarbeit auch die Chinakompetenz im Ausland stärke. So baue China nicht nur Ausbildungszentren in Partnerländern aus, sondern exportiere seine Trainingsausstattung und komplette IT-Lernsysteme, unterstütze die Anwendung chinesischer Technologien im Ausland und biete Ausbildungs- und Studienplätze in China an.

Aus seiner Erfahrung schlug Dr. Humberg zur Förderung von Chinakompetenz in Deutschland beispielsweise Weiterbildungsprojekte in China für deutsche Teilnehmende oder den Betrieb gemeinsamer Ausbildungsinstitutionen vor.

Im zweiten Beispiel aus der Praxis gab Dr. Hannelore Kress einen kurzen Einstieg in die Logik chinesischer „Luban“-Workshops (Kompetenzzentren für die Berufs- und Technikausbildung). Seit 2016 seien weltweit bereits mehrere solcher als Joint Venture mit dem Partnerland angelegten Zentren aufgebaut worden, teilweise entlang der neuen chinesischen Seidenstraße. China gehe dabei einen ähnlichen Weg wie die für die Vermittlung der chinesischen Sprache und Kultur etablierten weltweit 19 Konfuzius Institute, die dem chinesischen Bildungsministerium unterstehen. Die „Luban“-Workshops gelten als Teil der chinesischen Soft-Diplomacy und vermittelten chinesische Wissensstandards und Technologien. Gleichzeitig werde auch Wissen nach China gespiegelt. Der Name „Luban“ komme von dem im 5. Jahrhundert legendären chinesischen Handwerker, Ingenieur und Erfinder Lu Ban oder Gongshu Ban. Ein Video-Interview mit dem ersten Kontinental-europäischen Luban Zentrum an der portugiesischen Technischen Universität Setúbal gab praktischen Einblick in die Vorteile der Zusammenarbeit mit den chinesischen Partnern und in den Unterrichtsmechanismus EPIP - Engineering Practice Innovation Project.

Fazit

Die Beiträge und der Austausch beim Fachseminar haben die Dringlichkeit deutlich gemacht, dass unabhängige Chinakompetenz eine wichtige Rolle spielt für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die Möglichkeit des gegenseitigen Lernens. Es bedarf weiterer Anstrengungen, diese sprachlichen, kulturellen und politischen Kompetenzen in Deutschland zu stärken und auszubauen. In der Berufsbildung sind hierbei neben den nationalen Berufsbildungseinrichtungen auch die Akteure der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit gefragt. Als Grundlage der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und China spielt ein breit angelegter Austausch der Zivilgesellschaften eine entscheidende Rolle - Er benötigt nicht nur Chinakompetenz, sondern fördert sie zugleich.